Life is good

Ich sitze im Warteraum eines Spitals in Vashisht, Indien. Seit Tagen krampft mein Bauch, mir ist übel und ich esse für zehn. Würmer.
Und oder aber während ich dort sitze, in diesem überfüllten Warteraum – die Inder werden selbst beim einfachen Arztbesuch von der Familie begleitet und ich weiss nicht, ob ich das nun schön oder bedrängend finden soll – kreist dieser eine Satz in meine Kopf: life is good.
 
Ein Yogi und Freund, den ich hier kennen gelernt habe, hat dies als Whats-App-Status und diese drei Worte haben sich mir tiefer ins Gedächtnis gegraben als manch spiritueller Slogan.
 
Ich bin seit fast 7 Monaten in Indien unterwegs und es war intensiv, schön, berauschend und nicht immer einfach. Ich war krank, ich hatte immer wieder mal eine Nackenstarre und Würmer und eine Qualle haben meinen Weg gekreuzt. Ich habe viel erlebt. Wunderbares, Überraschendes, Verwirrendes, Anstrengendes. Und wenn ich jetzt, hier und heute sagen müsste, was dies alles, was Indien mir (bis jetzt) mitgibt, hinterlässt, dann fällt mir dieser Satz als erstes ein. Life is good.
 
Ein erfolgreicher Psychiater hat sich mir einmal anvertraut. Todessehnsucht sei ihm sehr bekannt. Sie begleite ihn sein ganzes Leben lang. Ich selbst habe lange mit sogenannt „psychisch kranken Menschen“ gearbeitet. Und vieles ist mir vertraut. Angstzustände, Depression, Burnout, Borderline. Das Sterben wollen. Ich habe Zugang zu „diesen Gefühlen und Energien“, ja, ich kenne und ich spüre sie.
 
Aber hier und heute fühle und weiss ich, dass dies alles sein darf. Und Platz hat. Und dass das Leben „gut“ ist. Dass ich nie wirklich sterben wollte. Und wir vielleicht alle immer nur leben wollen. Dies ist eine törichte Behauptung und ich weiss nicht, ob das stimmt. Aber ich glaube, ganz tief in uns wollen wir immer nur leben. Auch wenn wir Angst haben und die Trauer uns immer wieder mal besucht und unser Körper schmerzempfindlich ist und Würmer haben kann.
Obwohl manch einer von uns manchmal sterben will, wollen wir immer nur leben.
 
Ich weiss nicht, wie ich das, was ich empfinde in Worte fassen kann. Aber heute in diesem Wartesaal, durchfuhr es mich: das Leben will immer nur leben – es kann gar nicht anders, es lebt einfach, mit der Angst und mit der Unsicherheit und den Krankheiten. Mit dem Sterbenwollen. Wir brauchen keine so grosse Angst vor der Trauer zu haben, vor der Angst und dem Schmerz. Dies alles darf und kann da sein.
 
Manchmal muss ich leise lächeln, wenn die Menschen mich besorgt oder mitleidig fragen, ob es mir nicht gut gehe, weil ich auch über die Traurigkeit und den Schmerz schreibe. Ja, ich kenne und ich fühle „diese Energien“ (auch in den Menschen, die mich nach meinem Empfinden fragen.)
 
Und je älter ich werde, desto mehr weiss und spüre ich: dies alles hat Platz und Raum, alles ist Teil vom Ganzen und alles wird gehalten, vom Leben, das wir sind. (Und: je mehr wir den Schmerz und die Trauer verleugnen und unterdrücken, desto mehr trennen wir uns von der Freude – vom Leben. Je mehr wir uns auf das Leben einlassen – mit all seinen Schattierungen – desto mehr … leben wir :-))
 
Life is good. Auch wenn es sich manchmal scheisse anfühlt.
 
Danke Indien.
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Text: Vashsisht, Indien / Juli 2018
Bild: Kandy, Sri Lanka / März 2018
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