Vergebung

Lieber Mann, ich verzeihe dir, dass du mich oft betrachtest, ohne mich zu sehen; mir begegnest, ohne mich zu berühren und mich haben willst, ohne mich kennen zu wollen.
 
Ich verzeihe dir, dass du mir oft zu nahe kommst, mit deinen Blicken, Gesten, mit dem, was du sagst und von mir willst, ohne zu fragen, ob ich es dir geben kann.
 
Ich verzeihe dir, dass du mich besitzen und nach deinen Vorstellungen formen möchtest; mehr von dem, weniger vom anderen, längere Haare, mehr Körper; lieb und nett – oder das Gegenteil.
 
Ich verzeihe mir, dass ich so oft mitgespielt habe und selbst immer wieder spiele, manipuliere; dich an mich binde, von mir wegstosse, dir nahe komme und dann doch weggehe.
 
Ich verzeihe mir, dass ich so oft nicht Nein geantwortet habe, bei so vielem und dir nie gesagt habe, dass dieses Spiel zwischen dir und mir, mich schon so lange langweilt und oft auch verletzt.
 
Diese Begegnungen, ohne sich wirklich nahe zu kommen, diese Worte, ohne wirklich etwas zu sagen, dieses Stillschweigen, über so vieles, was wirklich nennenswert wäre.
 
Ich kenne die Angst, ich kenne die Wut, die Unsicherheit, das Begehren und Verlangen.
Ich kenne Leidenschaft und Langeweile.
 
Heute will ich die Vergebung kennen lernen.
 
Wir alle sind so verletzlich. Und geben uns doch so gerne stark. Wir lassen uns ein, ohne uns wirklich tief sinken zu lassen, in uns selbst und in den anderen – und nennen es dann Unabhängigkeit. Oder Liebe. Wir beide. Wir alle.
 
Ich vergebe meinen Grossvätern und Vätern, Liebhabern und Freunden und ich danke euch, dass ihr mir immer wieder zeigt, wo ich noch Wut und Angst und Schmerz in mir trage, und wo ich immer noch nicht verzeihen kann.
 
Ich bin dankbar, dass ich immer mehr spüren lerne, wo ich Kompromisse mache, Spiele spiele, Angst habe loszulassen, mich einzulassen oder unabhängig zu sein. Wirklich frei.
 
Denn es braucht Freiheit, sich wirklich zu begegnen, eine innere Freiheit und Offenheit, die alles zulassen und sich wirklich einlassen kann; auf alles, was in einer Begegnung zwischen zwei Menschen spürbar, fühlbar, sichtbar wird.
 
sex
Text: Vashisht, Indien / Juli 2018
Bild: Schweiz / 2008
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